Analyse Ständeratswahlen 2011

Ständeratswahlen 2011

Analyse und Ausblick

Das historische Debakel des Solothurner Freisinns vom 4. Dezember 2011 hatte sich angekündigt. Bereits am 23. Oktober waren die Weichen gestellt. Trotz eines geschlossenen Auftretens der FDP, trotz überparteilichem Support, vor allem von linker Seite, trotz eines überaus engagierten Kandidaten und trotz eines vorbildlichen Wahlkampfs gelang es uns nicht mehr, das Steuer herumzureissen. Wo liegen die Gründe? Welche Schlüsse kann und muss die Partei daraus ziehen? Der Versuch einer ersten Analyse.

 

 

 

 

Die Person

Man kann es letztlich drehen und wenden wie man will: Kurt Fluri war nicht mehrheitsfähig. Selbstkritisch führt auch Fluri selbst das enttäuschende Resultat auf seine Person zurück. In einer Zeit, in der wir übers Fernsehen und Fast-Food-Medien wie 20 Minuten oder Facebook beeinflusst werden, sind Politiker, die sich dieser Kanäle nicht zu bedienen wissen, klar im Nachteil. Die Positionen und Werte sind sekundär, insbesondere wenn sich zwei Kandidaten mit ähnlichem Profil gegenüberstehen. Der für die CVP typische Opportunismus kommt erschwerend dazu. Wankelmütigkeit wird in den Medien wohlwollend als Flexibilität bezeichnet. Gradlinigkeit wird hingegen als Sturheit abgetan. Dagegen ist nicht anzukommen. Die bittere Erkenntnis: Seriöse Arbeit wird nicht belohnt. Vermarktung ist alles. Man wählt die Verpackung, nicht mehr den Inhalt. Besonders tragisch ist dies für Kurt Fluri, der von seinem Wesen her, den Vollblutliberalen verkörpert wie kein Zweiter. Ein Politclown ist er nicht und es wäre auch nicht möglich und redlich gewesen, ihn als solchen zu verkaufen.

 

Die Medien

Es ist eine zwiespältige Sache: Durch die aufgesetzte Parteibrille scheint freilich fast jede Medienberichterstattung den eigenen Positionen und Anliegen zuwider zu laufen. Seitens Wahlkampfleitung haben wir nie gegen dies opponiert; es hätte bei den Journalisten nur einen Abwehrreflex ausgelöst. Dennoch ist es erstaunlich, wie unreflektiert und unkritisch, die Medien mittlerweile mit hochgejubelten Strahlemännern umgehen. Doch kein Wunder: Damit lassen sich Auflagen und Einschaltquoten steigern. Kritischer Journalismus à la Basler Zeitung oder Weltwoche? In unseren Breitengraden Fehlanzeige. Die Solothurner Zeitung ist zu einem Forumsblatt verkommen; dem Oltner Tagblatt diente die FDP bestenfalls als Prügelknabe.

 

Die Querelen

Interne Zerstrittenheit und regionale Grabenkämpfe sind einer Majorzwahl kaum dienlich. Rückblende: Am 27. Juni 2010, seinem 60. Geburtstag, eröffnete Rolf Büttiker dem Parteipräsidenten, dass er nicht mehr für eine weitere Amtszeit als Ständerat zur Verfügung stehen werde. Dass Büttiker zu diesem Schritt gedrängt wurde, hat er so nie gesagt. Umgekehrt wurde er aber auch nicht aufgefordert, zu bleiben. Viele in der Parteibasis bedauerten Büttikers Rücktritt, mindestens so viele hätten sich diesen jedoch schon lange gewünscht. Kurt Fluri gehörte nicht zu letzterer Gruppe und wer Fluri kennt, wird daran keinen Moment zweifeln. Auf den Aufruf, sich für den Ständerat nominieren zu lassen, meldete sich nebst dem Solothurner Stadtpräsidenten bekanntlich nur noch alt Regierungsrätin Ruth Gisi. Fluri obsiegte in einer demokratischen Auswahl am 11. Januar 2011 deutlich. Von diesem Moment an hätte jeder freisinnige Demokrat mit der Unterstützung Fluris beginnen können, ja müssen. Doch letztlich hatte die Tragödie an diesem Abend ihren Ursprung.

 

Der Zeitpunkt

Hätte der Ständeratssitz vor vier Jahren mit Fluri verteidigt werden können? Hätte man ihn 2011 mit Büttiker noch einmal gewonnen? Hätte ein anderer vielleicht in vier Jahren gegen Bischof obsiegt? Es sind müssige Fragen. Die Wahlen in St. Gallen und Schwyz haben gezeigt, dass auch langjährige, bisherige Würdenträger ihren Sitz nicht auf sicher haben. Ganz bestimmt hätte ein Austausch des Kandidaten im 2. Wahlgang die Sitzverteidigung nicht garantiert. Ein Wechsel hätte aber ganz bestimmt menschliche Scherben zurückgelassen und viele Freisinnige ratlos zurückgelassen. Bei allem Verständnis dafür, was taktisch richtig oder falsch ist, sollte der Faktor Mensch doch nie vergessen werden.

 

Die Verhältnisse

Pirmin Bischof ist für unseren Kanton eine Ausnahmeerscheinung. Er ist ein mediales Phänomen gegen das nicht anzukommen war. Er hat im Alleingang der CVP das zweite Nationalratsmandat gesichert und jetzt den Ständeratssitz geholt. Er hatte und hat viele Sympathisanten, auch in freisinnigen Kreisen. Seine parteipolitische Herkunft spielte bei diesen Wahlen keine Rolle. Auf die parteiungebundenen und wenig politinteressierten Wählerinnen und Wähler übt Bischof eine Art Sogwirkung aus. Dass bei einer Wahl Bischofs ein Landwirt in den Nationalrat nachrücken würde, war ebenfalls keine Hilfe. Und gleichzeitig war es der FDP nur beschränkt möglich, Wähler über die eigenen Reihen hinaus zu mobilisieren. Wie verheerend dies ist, zeigt ein Blick in die Geschichtsbücher. 2011, im Jahr der Nichtwahl Fluris, erzielte die FDP bei den eidgenössischen Wahlen 18,4 Prozent. Vor 20 Jahren, als Rolf Büttiker die Nachfolge von Ständerat Max Affolter antrat, lag dieser Wert noch bei 32,8 Prozent. Bei der Wahl Affolters 1979 lag der Wähleranteil bei 39,0 Prozent und bei der Wahl seiner beiden Vorgänger Ulrich Luder 1967 und Karl Obrecht 1959 bei 44,4 resp. 43,5 Prozent. Der Solothurner Freisinn konnte damals quasi alleine entscheiden, wer Ständerat wird. Wer das Gefühl hat, das sei heute noch so, irrt sich gewaltig.

 

Das Fazit

Am 24. Oktober 2011 konstatierte ich für mich, dass wir uns vielleicht damit abfinden müssten, dass das Volk einen Ständerat Bischof wolle. Sechs Wochen später bestätigte sich dieser Eindruck. Es ist ein bitterer Trost, dass wir mit wehenden Fahnen untergegangen sind, dass wir gekämpft haben wie die Löwen, dass wir präsent waren wie wohl noch selten. Bedrückend und beunruhigend zugleich ist die Tatsache, dass die Marke „FDP“ heutzutage nicht mehr zieht. Zu viel wurde in den vergangenen Jahren von nationalen Exponenten verbockt. Es ist der FDP Schweiz zu wünschen, dass sie die Zeichen der Zeit erkennt und Sympathieträger an die Spitze setzt. Frische und attraktive Kräfte sind gefragt, dann besteht die Chance, dass der liberale Gedanke in den Köpfen der Leute wieder Fuss fasst. Kurt Fluri ist zu wünschen, dass er Kraft und Zuversicht findet, sein Nationalratsmandat vier weitere Jahre auszuüben. Ihm muss bewusst sein: Es war kein Verdikt gegen ihn, sondern eines für Pirmin Bischof.

 

Der Ausblick

Mit dem heutigen Tag haben die kantonalen Wahlen 2013 begonnen. Die Freisinnigen haben es selbst in der Hand, ob sie für die Regierungsratswahlen die richtigen Lehren aus dem Debakel 2011 ziehen. Sollte dies der Fall sein und gelingt es, die kämpferische Einstellung des 2. Wahlgangs beizubehalten, dürfen wir vorsichtig optimistisch in die Zukunft blicken. Noch sind wir stärkste Partei auf Stufe Kanton und Gemeinden, wie schnell der Fall jedoch kommen kann, haben die letzten vier Jahre gezeigt.

 

Herzlichen Dank an alle, die weiterhin Flagge zeigen für den Solothurner Freisinn und nicht aufgeben. Denn es sei erinnert: Das verwundete Tier ist das gefährlichste Tier.

 

Charlie Schmid

operativer Wahlkampfleiter

Solothurn