Wie misst man Wirtschaftsfreundlichkeit?
Ratings erfreuen sich einer grossen Beliebtheit. Nur allzu gerne wird versucht, die Welt in ein einfaches Schema zu pressen. Die sich dahinter verbergende Komplexität wird komplett ausgeblendet. Es ist grundsätzlich schon fraglich, ob ein subjektives Kriterium wie „Wirtschaftsfreundlichkeit“ überhaupt messbar ist. Gemacht wird es trotzdem; in der Hoffnung, aus einer einzigen Zahl herauszulesen, wie ein Politiker oder eine Partei ticken. Minimale Voraussetzung bei der Erstellung solcher, meist aus einer politischen Intension geprägten Ranglisten, wäre jedoch die Einhaltung elementarer, wissenschaftlicher Grundsätze. Einer davon besagt, dass sämtliches vorhandenes Datenmaterial auszuwerten ist. Falls nicht, ist dies plausibel zu begründen. Genau über diesen Grundsatz haben sich aber die Autoren des Wirtschaftsmagazins grosszügig hinweggesetzt.
Zwei Jahre statt ein Jahr
Als Datenbasis wurden 26 Abstimmungen im Kantonsrat aus dem Jahr 2014 mit den Empfehlungen der Parlamentarischen Gruppe Wirtschaft & Gewerbe (PG W&G) verglichen. Die PG W&G ist das Bindeglied zwischen den Solothurner Wirtschaftsverbänden und den bürgerlichen Fraktionen. Die Parolen des Vorstands der PG W&G werden jeweils vor den Sessionen publiziert (www.wirtschaftspolitik-so.ch).Seit Beginn der aktuellen Legislaturperiode im März 2013 wird jede Abstimmung im Kantonsrat registriert und ist öffentlich zugänglich (www.so.ch/parlament). Entsprechend lassen sich die Parolen der PG W&G – und damit der Solothurner Wirtschaft – mit dem effektiven Abstimmungsverhalten aller 100 Kantonsräte von März 2013 bis März 2015 vergleichen: also über einen Zeitraum von exakt zwei Jahren und nicht nur für das Jahr 2014.
Alle Abstimmungen statt nur einen Teil
Das Wirtschaftsmagazin hat zudem nur das Abstimmungsverhalten der Parlamentarier bei den Schlussabstimmungen der einzelnen Vorlagen berücksichtigt. Zumeist steckt der Teufel aber im Detail. Wenn der Kantonsrat an einzelnen Artikeln Hand anlegt, ist dies oft weit relevanter als die Zustimmung oder Ablehnung zum ganzen Gesetz. Wenn also einerseits der Untersuchungszeitraum auf zwei Jahre ausgeweitet und andererseits alle gemäss PG W&G wirtschaftsrelevanten Abstimmungen miteinbezogen werden, erhöht sich deren Zahl von 26 auf 77! Nun liegt eine Datenmenge vor, die einerseits gesicherte(re) Erkenntnisse über das wirtschaftspolitische Abstimmungsverhalten der Politiker zulässt und andererseits einen logischen Zeitraum abdeckt; nämlich die Hälfte der Legislatur.
FDP auf Rang 1
Das Ergebnis fällt nun wesentlich differenzierter aus: Deutlich vor der SVP platziert, darf die FDP für sich in Anspruch nehmen, die wirtschaftsfreundlichste Partei des Kantons Solothurn zu sein.* Das ist – betrachtet man die vielfältig besetzte, freisinnige Fraktion – keine Selbstverständlichkeit. Auch für Marianne Meister als oberste Wirtschaftsvertreterin im Kantonsrat ist das Resultat plausibler. Mit einem Indexwert von 63,5 stimmte sie in 87 Prozent der Fälle auf der Linie der PG W&G und landet hinter drei freisinnigen Kollegen auf Platz 4. Zusammengefasst stimmen die Freisinnigen durchschnittlich in über 80 Prozent der Fälle im Interesse von Wirtschaft und Gewerbe.
Gewichtung wäre subjektiv
Selbst die SP als politischer Gegenpol erreicht allerdings noch eine Übereinstimmungsquote von 50 Prozent. Dies liegt daran, dass zahlreiche Geschäfte von untergeordnetem Interesse und daher meist unbestritten sind. Es ist allerdings fraglich, ob die Absenzenregelung in Schulzeugnissen und die Erhöhung des Steuerfusses dieselbe wirtschaftspolitische Bedeutung aufweisen. Vermutlich nicht. Jedoch könnte dieses Problem nur mit einer Gewichtung der einzelnen Sachvorlagen umgangen werden. Damit würde aber ein subjektives Kriterium Einzug in die Analyse halten und die Ergebnisse unzulässig verfälschen. Wie man es auch dreht: Ratings können nie ein vollständiges Abbild der Realität wiedergeben, sondern höchstens eine Tendenz aufzeigen. Diese ist in vorliegendem Fall eindeutig: Die FDP ist und bleibt als Wirtschaftspartei glaubwürdig und kompetent.
Daten Berechnung KMU-Rating 2013-2015.pdf
Diagramm Wirtschaftsfreundlichkeit Parlamentarier.pdf
Diagramm Wirtschaftsfreundlichkeit Parteien.pdf
Die abgebildeten Werte beziehen sich nicht auf die prozentuale Übereinstimmung der Parlamentarier und Parteien mit den Parolen der Wirtschaftsverbände, sondern auf das geometrische Mittel. Dadurch werden Unterschiede deutlicher ersichtlich. Es wurden alle 77 Abstimmungen im Solothurner Kantonsrat (www.so.ch/parlament) zwischen März 2013 und März 2015 berücksichtigt, zu denen die Parlamentarische Gruppe Wirtschaft & Gewerbe eine Parole ausgegeben hat (www.wirtschaftspolitik-so.ch). Die mit einem * gekennzeichneten Parlamentarier sind erst im Verlaufe der Legislatur in den Kantonsrat nachgerückt. Enthaltungen und Abwesenheiten sind analog der Berechnungsweise des Wirtschaftsflashs 03/15 (www.wirtschaftsflash.ch) nicht berücksichtigt.